Während wir wach sind, wechseln wir ständig zwischen der Konzentration und dem Tagtraum. Wir sind entweder mit unserem Bewusstsein auf etwas ausgerichtet oder sind im Tagtraum und gedanklich nicht anwesend.
In der Konzentrationsphase nehmen wir Informationen bewusst auf, um uns später daran erinnern zu können. Wir lernen auswendig, z.B. chemische Formeln, ein Gedicht oder die Funktion einer Zelle. Kreative Leistung ist hier nicht gefordert, lediglich das Aufnehmen der Informationen.
Im Tagtraum passiert dann genau das Gegenteil: Wir sind gedanklich abwesend, starren Löcher in die Luft. Von außen kann man sehr schön sehen: nicht ansprechen, da ist gerade sowieso niemand zu Hause! Im Tagtraum findenwichtige Verknüpfungen statt, ohne welche die Konzentration zu nichts führen würde.
Dabei gibt es zwei wichtige Funktionen des Tagtraumes:
Gerade neu aufgenommenes Wissen wird mit schon vorhandenem Wissen verknüpft, um dieses neue Wissen später schneller abrufen zu können. Eine neue Vokabel wird also in den Vokabelspeicher gebracht und dort mit anderen Vokabeln verknüpft, die in dieselbe Sparte (Lebensmittel) fallen, oder ein Wort aus der einen Sprache (Englisch) wird mit demselben Wort aus einer anderen Sprache (Latein) verknüpft. Beides dient der leichteren Erinnerung.
Gerade neu aufgenommenes Wissen wird mit schon vorhandenem Wissen verknüpft, wobei etwas ganz Neues entsteht. Ich lerne ein Gedicht konzentriert auswendig, irgendwann schweifen meine Gedanken ab und ich dichte eine ganz neue Strophe hinzu. Das ist dann Kreativität! Hier werden alle Erfindungen getätigt: Nach einer guten und konzentrierten Vorarbeit lassen wir von dem eigentlichen ab, beschäftigen uns mit etwas anderem oder machen nichts und – plötzlich fällt uns die Lösung ein. Dies geht umso besser, je mehr Vorwissen wir schon konzentriert aufgebaut haben. Daher sind beide Aufmerksamkeitsphasen gleichermaßen wichtig!
Chillen auf dem Sofa ist daher gut und neurologisch immens wichtig!
Die Frage ist nun, wie lange man sich konzentrieren kann und wie viel Tagtraum normal ist. Zunächst: Normal ist gar nichts. Jeder hat seinen eigenen Rhythmus, welchen zu finden die eigentliche Kunst beim Lernen ist. Bei Kindern zwischen 5 und 10 Jahren kann man die Dauer der Konzentrationsphase in etwa als das Lebensalter in Minuten angeben.
5 Jahre = 5 Minuten Konzentration, dann muss das neu aufgenommene Wissen weiterverarbeitet werden, wofür wir den Tagtraum brauchen.
In der Konzentrationsphase gelangt das Wissen in einen Kurzzeitgedächtnisspeicher. Beschäftigen wir uns nicht mehr damit, wird es irgendwann gelöscht. Gönnen wir uns aber einen reizreduzierten Tagtraum, wird dieses neu aufgenommene Wissen weiterverarbeitet und gelangt in einen nächsten Gedächtnisspeicher. Mit diesem Wissen wird dann in der nächsten Konzentrationsphase weitergearbeitet, und es wird ein bisschen mehr verfestigt. Dann kommt die nächste Tagtraumphase und anschließend wieder ein konzentriertes Arbeiten und so weiter. Lernen ist ein ständiger Kreislauf, bei dem sich ein konzentriertes Befassen mit der Materie und Tagträumen abwechseln und ergänzen. Erst wenn ich etwas automatisiert abrufen kann, bewältige ich den Stoff sicher. Wie viele Konzentrations- und Tagtraumhasen man dabei durchlaufen muss, ist ganz unterschiedlich. Das hängt entscheidend von schon vorhandenem Vorwissen zu diesem neu zu lernenden Wissen ab. Habe ich schon drei Fremdsprachen perfekt gelernt, wird mir eine vierte aus einem ähnlichen Sprachraum leichter fallen, als wenn es meine erste Fremdsprache ohne Vorkenntnisse ist.
Ab einem Alter von 10 Jahren gilt die Regel Lebensalter in Minuten nicht mehr. Erwachsene haben in der Regel eine Konzentrationsphase von maximal 10 bis 12 Minuten und einen sehr kurzen Tagtraum, der im Sekundenbereich liegen kann. Es scheint, dass man sich sehr lange konzentrieren kann, aber ein Blick aus dem Fenster, ein kurzer Gedanke ans Abendessen oder daran, den Rasen zu mähen, kann als Tagtraum genügen, um Informationen sich setzen zu lassen, und die nächste Konzentrationsphase kann kommen. Kleine Kinder haben hingegen meistens einen längeren Tagtraum, sind länger geistig abwesend, um Informationen zu verarbeiten. Es gibt aber auch schon Erstklässler, die nur eine kurze Verschnaufpause benötigen, um mit dem Stoff weitermachen zu können. Und hier liegt die eigentliche Herausforderung. Jeder hat eine individuelle Tagtraumlänge. Wenn wir uns nicht die volle Länge genehmigen, wird die nächste Konzentrationsphase eben kürzer. Das Gehirn braucht seine Zeit.
Ist die Konzentrationsphase zu kurz und/oder die Tagtraumphase zu lange, kann daran mit der neuro-motorischen Entwicklungsförderung INPP gearbeitet werden. Durch sie bessert sich die Wahrnehmungsverarbeitung sowie die Verarbeitungsgeschwindigkeit.
Quelle Text Konzentration: Denk! Von Ruth Meinhart, Gedankensprungverlag